Brief aus dem Bauch der Republik. Es passiert, bevor es passiert!

Verfasst von Veronika Spannring, vorgetragen vom TiB, beantwortet vom Frauenservice BKA

An
MMag.a Dr.in Susanne Raab
Bundesministerin für Frauen und Integration
Mag. Gerhard Karner
Bundesminister für Inneres
Graz, im Dezember 2021


Sehr geehrte Frau Ministerin!
Sehr geehrter Herr Minister!

Es passiert, bevor Es passiert

So lautet eine Kampagne zur Gewaltprävention der Frauen- und Mädchenberatungsstellen Steiermark. Der Titel spricht eine Dynamik an, die wir alle kennen: Gewalt beginnt lang bevor sie sichtbar und offensichtlich wird. Bevor Es passiert, wirken im Vorfeld gewaltfördernde Einstellungen und Verhaltensweisen, die Gewalt gegen Frauen begründen und begünstigen. Geschlechterforscherinnen nennen Frauenabwertung, bedenkliche Bilder von Männlichkeit und Mediengewalt als zentrale Faktoren für die Begünstigung von Gewalt.

Sie wissen, dass laut Eurobarometerstudie
24% der Befragten in Österreich meinen, dass Frauen Missbrauchs- oder Vergewaltigungsvorwürfe oftmals erfinden oder übertreiben?

  dass 32% der Befragten in Österreich meinen, dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein kann? „Sie war ja betrunken“ oder „Sie hatte ja dieses sexy Kleid an“ sind oft gehörte Rechtfertigungen, die die Schuld beim Opfer suchen.

  Fakt ist auch, dass 62% der Befragten in Österreich eine gesetzliche Sanktionierung anzüglicher Bemerkungen oder anzüglicher Witze ablehnen. Ein Umfragewert, mit dem Österreich innerhalb der EU an der Spitze steht.

Effektiver Gewaltschutz beginnt hier, bei der Arbeit an der Veränderung gewaltfördernder Haltungen und Meinungen, die in unserer Gesellschaft oft als normal hingenommen und geduldet werden. Das Aufzeigen und Hinterfragen von Haltungen und Darstellungen, die Frauen abwerten, ist herausforderndes und gleichzeitig wirkungsvolles Handlungsfeld der Primärprävention.

Die Istanbul-Konvention – ein Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - empfiehlt Regierungen im Jahr 2011, die Medien zur Erstellung von Richtlinien zu ermutigen, um den Respekt vor der Würde der Frauen zu stärken und zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen beizutragen. Medien sollen davon absehen, weibliche Stereotype und erniedrigende Bilder von Frauen, welche sie mit Gewalt und Sex in Verbindung bringen, zu vermitteln...

Namhafte Studien zu Gewalt an Frauen (Eurobarometerstudie, GREVIO) definieren die fehlende Gleichbehandlung als eine der Grundursachen von Gewalt gegen Frauen und empfehlen Kampagnen zur Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit.

In Österreich gibt es viele engagierte Einzelinitiativen zur Primärprävention, die hauptsächlich von Fraueneinrichtungen und Gewaltschutzeinrichtungen getragen werden. Was allerdings fehlt, ist eine öffentlich-rechtliche Kampagne wie das von den Vereinten Nationen ausgewiesene Best Practice in Spanien.

Eine bundesweite Kampagne, umgesetzt auf Initiative der Regierung hätte große Wirksamkeit. Sie wäre ein klares und lautes Zeichen dafür, dass Gewaltschutz ein gesellschaftliches Problem ist, dem wirkungsvoll begegnet werden kann, wenn Politik, Staat und Regierung dafür solidarisch Verantwortung übernehmen.

Mit diesem Schreiben ersuche ich Sie,
sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Minister,
die Umsetzung einer bundesweiten Kampagne zur Primärprävention in Ihre Agenda aufzunehmen und dadurch einen weiteren wirkunsvollen Beitrag zum Gewaltschutz in Österreich zu leisten.

Mit freundlichen Grüßen
V.S.

10. Februar 2022, Kategorien: Frauen*tag 2022, Nachrichten aus dem Betrieb